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Konkurrenz – aus systemischer und entwicklungspsychologischer Sicht

 

‹Konkurrenz› verstehen wir meist im Kontext der Wettbewerbslogik; Leistung, freie (!) Marktwirtschaft, Stellen- und Positionsgeschachere in Job und Politik. Dass der Wettbewerb oft genug kein fairer ist, dass Protektionierung und Vetternwirtschaft und verdeckte Strategien das ‹Spiel› bestimmen, wissen wir alle – und hoffen auf die Politik oder auch auf selbstreinigende Kräfte in Systemen, um den Grundsatz der Fairness und der Chancengleichheit zu halten. 

 

Wie aber sieht es in Familien aus? Konkurrenz beispielsweise unter Geschwistern wird viel beschrieben, auch “moderne“ Eltern-Kind-Beziehungen scheinen davon nicht frei zu sein. Wir wissen das alle – irgendwie. Warum aber bereitet uns ‹Konkurrenz› in Familien immer auch ein Gefühl größeren Unbehagens? Entwicklungspsychologisch ”fallen” wir in diese Welt und gewinnen dabei zunächst den Eindruck, wir seien das Zentrum des Universums: Es geht zunächst nur um uns selbst, alles dreht sich um uns, wir bekommen bestenfalls die volle oder mindestens die ausreichende Aufmerksamkeit der Bezugspersonen, um uns – ganz konkurrenzlos – gut und zentriert in uns selbst einzufinden. Die “Ent-täuschung“ ab etwa dem 18. Lebensmonat kommt, wenn wir bemerken, daß wir 

 

  • auf andere angewiesen sind
  • nicht alleine noch das Zentrum sind
  • unsere nächste Bezugsperson sich auch noch anderen Menschen und Dingen zuwendet
  • wir Bedürfnisse aufschieben oder auch mal ganz aufgeben müssen 

 

Die gängigen tiefenpsychologischen Konzepte verankern in dieser Entwicklungsphase die mögliche Entstehung von narzisstischen Störungen: Die ursprünglich vorgestellte “Grandiosität“ unseres Ichs kann unter Umständen nicht über Integrationsvorgänge des internen und externen Abgleichs geheilt werden: zB der Integration des sog. “Ideal-Ichs“ im Sinne einer entspannten Ent-Idealisierung von Bezugspersonen. In solchen Fällen bleiben wir ein kleines oder großes Stück weit darauf angewiesen, nicht nur selbst ganz toll zu sein, sondern auch in der Furcht, andere könnten toller und besser sein als ich (“Spieglein, Spieglein an der Wand…“). Hier beginnt, tiefenpsychologisch betrachtet, ein bestimm-tes intrapsychisches Konzept der Konkurrenz – eben auch als Folge der fehlenden Integration äußerer Idealbilder. 

 

Dennoch hat die oft zu beobachtende verdeckte oder offene Konkurrenz auch noch einen ebenso tiefenpsychologisch wie systemisch verankerten Aspekt: Die existentielle frühe Erkenntnis, dass ich nicht alleine und “safe“  bin, sondern womöglich um einen sicheren Platz in welchem System auch immer fürchten muss, berüht das Problem der existentiellen Angst: Schließlich könnten wir nicht überleben, wenn wir unseren Platz in der Familie, oder im Job oder in der Gesellschaft verlieren – und sei es “nur“ im emotionalen Sinn. Selbst als Eremit muss ich mir meines Platzes, irgendwo in diesem Leben, sicher sein. Dass ‹ich› in jedem Fall für meinen eigenen Plaz kämpfe, erscheint mir deswegen nicht nur “logisch“, sondern auch eine notwendige, in sich konsistente, Bedingung unseres sozialen Mit- und Gegeneinanders zu sein. 

 

Es scheint also eine systemisch bedingte Konkurrenzlogik zu geben, im sozialen wie im familiären Bereich. Wir versuchen dabei das Gegeneinander im Miteinander aufzufangen. Aber kann ich dem trauen? Kann ich mich in einer Beziehung, zB innerhalb meiner Familie, darauf verlassen, dass mich mein Bruder oder meine Schwester oder gar meine Eltern nicht eigentlich aus dem System herausdrängen wollen? Dies hat eine archaische, sozusagen biblische (Kain und Abel…) Komponente, und ist in Romanen und Tragödien bearbeitet worden.

 

Heutzutage scheint unser Platz, zumindest in Familien (im Job mitnichten) sicher zu sein. Aber natürlich … das scheint nur so zu sein. Denn jede Überlastung, jede Schräglage eines Familiensystems durch finanzielle, gesundheitliche oder psychosoziale Gründe kann (und muss…) dazu führen, dass wir uns ggf. alles andere als sicher fühlen. Mit anderen Worten: das System “selbst“ kann meinen Platz innerhalb der Familie gefährden, zum Beispiel wenn die Familie zerrüttet oder am Zerbrechen ist. Hinzu kommen oft genug verdeckte Dynamiken der Konkurrenz in der Familie, die durch nicht bewusste oder verleugnete Negationen hervorgerufen werden: Vielleicht wollte die Mutter oder Vater eigentlich keine Kinder, vielleicht war das zweite oder das dritte Kind zuviel des “Guten“, vielleicht führen Trennungen zu dem geheimen Wunsch, die Kinder wären nicht geboren worden oder ein Streit um innere oder äußere Werte führt dazu, dass wir das Familiensystem plötzlich in seinen zentrifugalen Kräften wahrnehmen. Der Zusammenhalt wird brüchtig, die sicheren Bindungen auch, und schon ist alles nicht nur eine Frage der Konkurrenz, sondern des inneren und äußeren Über-lebens überhaupt., 

 

  Familienhilfe und Therapie versuchen hier das Schlimmste zu verhindern. Doch reichen unsere Lösungs- und Ressourcen-orientierten und narrativen Ansätze aus, um dergleichen “Strömungen“ aus der Tiefe aufzufangen bzw. auszugleichen? Meines Erachtens kann eine existenz-bedrohliche Konkurrenzsituation nur durch eine in der Tiefe unserer Selbstwahrnehmung hergestellte ‹Sicherheit› aufgefangen werden, die uns in den Grundwahrnehmungen unserer Körperlichkeit Halt und emotionale Sicherheit vermittelt. An dieser Stelle sei auf Stephen Porges Polyvagal-Theorie und die hier konzeptualisierten Ansätze des sozialen Sicherheitsempfindes verwiesen – ein Sicherheitsempfinden, dass nach dieser Theorie in uns selbst physiologisch verankert ist, also eher tiefenphysiologisch wirkt als tiefenpsychologisch. Nach diesem Ansatz erscheint es eher unwahrscheinlich, dass wir uns “nur“ über Denken und sprachliche Reflexionen “in Sicherheit“ bringen können. Wir brauchen weniger unsere Psyche, als unseren Körper in seinem Sicherheit gebenden Zusammenspiel mit der Psyche, um uns in diesen Punkten stabilisieren zu können. 

 

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