Wer bin ich in der Beziehung?

Und bin ich dort jemand anderes, als wenn ich nur in Beziehung zu mir selbst stehe, allein, ein “Single“? Single-Sein scheint darauf ausgerichtet zu sein, irgendwann nicht mehr Single zu sein. Wobei es für den “gepaarten“ Zustand danach kein entsprechendes Wort gibt. Warum eigentlich nicht?
    Vielleicht will keiner ein “Double“ sein oder gar ein “Triple“. Denn auch in der Beziehung bleibe ich ›ich-selbst‹, auch wenn ich nun sozusagen regelmäßig und enger auf einen bestimmten anderen Menschen bezogen bin, der mein So-Sein durch sein eigenes So-Sein beantwortet, zurückspiegelt, kommentiert und begleitet.
    Mein ›ich‹ bleibt aber dennoch (scheinbar) so wie es ist, auch wenn ich oft gar nicht so genau sagen kann, wer und wie es ist. Denn das ›ich‹ ist auch im Alleine-Sein nur durch Kontexte der Kommunikation mit der Außenwelt hergestellt. Abgespalten, ohne Bezug zu Anderen, werden wir ein ›ich‹ kaum stabil und positiv erlebbar beschreiben können. Mein Selbst-Sein wird nun also (in der Beziehung angekommen…) bestenfalls positiv hinterfragt und ergänzt, erweitert durch das (auch auf mich) bezogene Selbst-Sein des Partners: Beide Ich-Identitäten verändern sich durch den jeweiligen Anderen. Das ist ein subtiler, oft unmerklicher Prozess, denn natürlich will jeder auch in der Beziehung der Mensch bleiben, der er früher war. Auch wenn es klar ist, dass schon das Gefühl des “Mensch-Seins“ nunmehr, in der Beziehung aufgehoben, ein ganz anderes ist.
    ›Ich‹ bin nun zu-zweit: Ein ›Wir‹, dass eine eigene Definition und letztlich auch eine eigene Identitäts-Geschichte zu erfordern scheint. Denn meine Selbst-Erzählung erfährt nun einen anderen, erweiterten Hintergrund im Geschehen des gemeinsam erlebten Lebens. Die Qualität einer Beziehung wird auch davon abhängen, inwieweit die Beteiligten das gemeinsam Erlebte positiv ausformen und in-sich-weitererzählen, ihre eigene Identität als positiv erweiterte erleben können. Oder ob sie sich in Bezug auf den Partner stark abgrenzen müssen, um ›selbst‹ bestehen zu können, sich selbst behaupten zu können.
    Aber das ›Selbst‹ ist eben eine Behauptung, genauso wie auch das ›ich‹ eine Konstruktion ist. Errichtet, um nicht in der Grenzenlosigkeit der Wahrnehmungen und ihrer möglichen Verschmelzungen, ihren inneren Repetitionen und Irrtümern zu versinken. Insofern ist die Verteidigung von Identität auch immer ein Kampf gegen Windmühlen. Illusionen, die gegen andere Illusionen zu Felde ziehen. Ein paradoxer Vorgang, ausgelöst durch den Umstand, dass wir unsere eigene Personalität ein Stück weit als “dinghaft“ und “materiell“ erleben und diese dinghafte Stabilität zu verteidigen beginnen. Der Andere bedroht meine über Generationen von Familien-Narrativen gefestigte (oder auch destabilisierte) Identität, indem er andere Geschichten des Lebens erzählt und von mir möglicherweise (unbewusst) erwartet, dass ich meine Identität in seine Lebensgeschichten “einpasse“, indem ich seine Geschichten höher bewerte oder stärker mit betone, als meine ursprünglich eigenen Herkunftsmelodien. Es ist aber eben sehr schwer, aus zwei “Songs“ einen neuen zu komponieren, ohne die ursprünglichen Qualitäten unhörbar zu verwässern oder gar kaputt zu komponieren.   
    Das Schreiben der gemeinsamen neuen Paar- bzw. Familienidentität ist ein Vorgang, der nur gelingen kann, wenn Unterschiede produktiv werden können, und Gemeinsamkeiten stabilisierend wirken, ohne dabei zu verhärten oder zu starren Beziehungsidentitäten zu führen.
   

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