Wahrnehmen, Erkennen, Bedeuten

Kann ich etwas wahrnehmen, was ich nicht im selben Moment schon (er)kenne und sofort mit meinem “unendlich“ großen Erfahrungsschatz an bereits erfolgten Wahrnehmungen abgleiche? Was müsste auf der visuellen oder akustischen oder einer sonstigen Ebene der Sinneswahrnehmung erscheinen, um von uns nicht relativ schnell wiedererkannt, eingeordnet und (oft zu schnell...) bewertet zu werden? Ein unbekanntes Geräusch? Eine unbekannte (“außer“-irdische) Erscheinung? Ein Geruch, den wir weder süß noch sauer noch bitter noch faulig etc. kategorisieren könnten? Es ist theoretisch nicht ausgeschlossen, aber relativ unwahrscheinlich, dass uns ab einem bestimmten Alter solch eine Erscheinung begegnet. Wahrnehmen ist vom frühesten Kindesalter unmittelbar an lernendes Erkennen gebunden. Lernen heißt, das wahrnehmende Erkennen zu erweitern, indem Erfahrungen mit der Außenwelt im eigenen System “intern“ abgeglichen und eingeordnet werden. Anschließend (und mit zunehmendem Alter) wird die abgeglichene Information im Sinne weiterer Bedeutungen interpretiert: Das erste Erkennen ist also nur ein grober Abgleich, der in weiteren Schritten hin zu einer ‘bedeutsamen' Erkenntnis (im Sinne eines verfeinerten Lernerfolges) entwickelt werden kann und werden sollte.

      Oft erfolgt der Übergang vom Erkennen zum interpretierenden Bedeuten zu rasch. Ein Zustand der durch unsere zur Schnelligkeit animierenden neuen Medien noch aller Vermutung nach verstärkt werden wird. Wir sehen oder hören etwas (mit unseren “Fastfood-Organen“, den Augen und den Ohren) und wissen binnen einer Sekunde, was wir davon zu halten haben, woher es kommt, ob es uns gefällt usw. Es ist klar, dass dermaßen schnelle Zuordnungen auf Dauer das weitere Lernen von Menschen behindern. Das vorzeitige Erkennen wird sozusagen zum “Blocker“ eines erweiternden Erkennens, welches aus Gründen des Lernens erfolgen könnte. Erschwerden kommt hinzu, dass sich das vorschnelle Zuordnen von Information zu möglichen Bedeutungen, dinglichen Kategorien oder geschmacklichen Bewertungen, selten in der Lage sieht, sozusagen dem eigenen Bewusstsein eine Auto-Korrektur vorzuschlagen. Die (möglicherweise getäuschte) Wahrnehmung, welche sich vorschnell als Erkenntnis inszeniert hat, wird zum Opfer einer zu hohen und zu schnell vorfallenden Informationsflut. Wir können nicht mehr beurteilen, was wir wahrnehmen, weil sich Information immer schwerer in lernendes Erkennen transformieren lässt.

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